Prof. Dr. Charles B. Blankart, Humboldt-Universität zu Berlin & Institut für Unternehmerische Freiheit
- Vermögen- und Erbschaftsteuer – Dauerbrenner der Umverteilungspolitiker
In der politischen Debatte in Deutschland ist die Idee der Vermögensteuer nicht totzukriegen. Zwar hat die SPD ihre Wiedereinführung erfreulicherweise nicht in ihr Wahlprogramm aufgenommen, aber sie findet sich weiterhin in deren Grundsatzprogramm. Die Idee ist populär in breiten linken und sozialdemokratischen Kreisen, und sogar darüber hinaus. Andere EU-Mitgliedstaaten haben dagegen Vermögensteuern in den vergangenen fünfzig Jahren mehr und mehr abgeschafft, z.B. Schweden 2007, Irland 1978, die Niederlande 2001, Österreich 1993 und Dänemark 1991. Für die Befürworter geht es um soziale Gerechtigkeit und die stärkere Belohnung eigener (Arbeits-)leistung. Kurz gesagt: die breite Masse derer, die ihren Lebensunterhalt vor allem aus ihrem Arbeitslohn bestreiten, soll besser gestellt werden auf Kosten der relativ Wenigen, die über so viel Vermögen verfügen, dass sie von den Erträgen leben können. Das ist eine populäre Argumentation. Aber kann sie auch halten, was sie verspricht? Eine ökonomische Analyse liefert im Folgenden die Antwort auf diese Frage.
Durch die Einführung einer Vermögensteuer wird zunächst der Faktor Arbeit auf Kosten des Faktors Kapital besser gestellt. Doch der wichtigste Punkt wird dabei gern übersehen. Denn gleichzeitig belastet der Staat mit der Vermögensteuer die Wertschöpfung der Volkswirtschaft insgesamt. Die Mittel, die für private Investitionen zur Verfügung stehen verringern sich. Die gesamte Volkswirtschaft erleidet daher in Folge der Vermögensteuer einen Einkommenseffekt zu Lasten von Arbeit und Kapital. Das heißt: Der Kuchen, der zur Verteilung zwischen Lohnempfängern und den Nutznießern von Vermögen zur Verfügung steht, wird kleiner.
Was aber die Verteilung des Ertrags auf die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital betrifft, ist das Ergebnis der Vermögensteuer nicht so eindeutig, wie die Befürworter unterstellen. Der geringer besteuerte Faktor Arbeit wird vergleichsweise billiger. Sein relativer Preis fällt. Er verdient weniger, wird aber dafür intensiver eingesetzt. Demgegenüber wird der Faktor Kapital teurer. Er wird aber dafür weniger eingesetzt. Es steht keineswegs fest, ob am Ende die Arbeit besser und das Kapital schlechter dastehen als ohne Vermögensteuer.
- Es kommt auf die Mobilität der Faktoren an
Die vom Bundesverfassungsgericht postulierte Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist eine sinnleere Forderung, denn sie ignoriert das eigentliche Problem der Besteuerung. In die Sprache der Ökonomen übersetzt bedeutet sie, dass alle Steuerzahler durch die Besteuerung den gleichen Nutzenverlust erleiden: die Leistungsfähigen (Reichen), indem sie mehr Steuern bezahlen, die weniger Leistungsfähigen (Armen), indem sie weniger Steuern bezahlen. Doch der Nutzen ist nicht messbar – somit bleibt die Besteuerung willkürlich.
Doch es kommt für die Besteuerung letztlich auf etwas anderes an. Für den Fiskus ist es entscheidend, des potentiellen Steuerzahlers überhaupt habhaft zu werden, die Steuern also eintreiben zu können.
Folglich lässt sich sagen: Die Besteuerung setzt an der Mobilität an. Steuern bezahlt, wer immobil ist. Immobil war einst vor allem der Bauernstand, der sein Einkommen aus der Bewirtschaftung von Grund und Boden erzielte. In Friedrich Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ konnte der Landvogt dem Bauern Melchtal die Ochsen ausspannen und diese als Steuer konfiszieren. Denn Melchtal war immobil und konnte der Steuer des Landvogts nicht entfliehen.
Mobilität stellt auch heute noch einen zentralen Ansatzpunkt der Besteuerung dar. So kann ein Automobilist Tankstellen vermeiden und steuerfrei Auto fahren, solange er Benzin im Tank hat und er daher mobil ist. Geht sein Benzin im Tank zur Neige, so wird er immobil. Er muss eine Tankstelle aufsuchen, dort tanken und damit wohl oder übel Steuern bezahlen. Auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kommt es nicht an.
Mobile Faktoren wie Arbeit und Kapital bleiben von der Besteuerung potentiell unbehelligt. Sie tragen ihren Grenzertrag mit sich und können sich den Ort der niedrigsten Besteuerung aussuchen. Nur wenn Arbeit und Kapital durch lokale Bindungen (z.B. Verwandte oder Freunde) festgehalten werden und daher nicht wandern können, müssen sie Steuerlasten tragen.
- Sozialkapital statt Sachkapital
Individuen besitzen Vermögen in Sozialkapital und in Sachkapital. Zum Sozialkapital gehören ihre Ansprüche auf staatliche Altersrenten; zum Sachkapital ihr Besitz an Immobilien. Heute setzen die Sozialreformer vor allem darauf die Ansprüche der Individuen auf Sozialkapital auszubauen. Weil aber hinter dem Sozialkapital nur wenig (vielfach gar kein) Sachkapital steht, steigt die implizite Staatsverschuldung.
In der Ära, als Ludwig Erhard Bundeswirtschaftsminister war, verhielt es sich mit der Besteuerung gerade umgekehrt. Erhard setzte auf Eigenheimförderung und den Ausbau des Sachkapitals. Er war bestrebt die Belastung des Eigenheimbaus mit Vermögensteuern zu vermeiden. Die Bildung von Eigenheimvermögen wurde u.a. dadurch begünstigt, dass die Besteuerung des Immobilienvermögens ausgesetzt wurde. Erhards Idee der Eigenheimförderung (also des Abbaus der Vermögensbesteuerung) hat einen enormen Wachstumsschub in der jungen Bundesrepublik Deutschland ausgelöst. Erhard schuf auf diese Weise das Wirtschaftswunder. Dem Ausbau des Sozialtstaates und des Sozialkapitals stand Erhard (anders als Bundeskanzler Adenauer) skeptisch gegenüber.
Die Anhänger von Vermögen- und Erbschaftsteuer gehen gerade in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollen das Sozialkapital (z.B. durch Wohltaten wie die Abschaffung von Studiengebühren) ausbauen und mit der Vermögensteuer das Sachkapital belasten. Während Erhards Politik durch die Förderung des Sachkapitals eine Wachstumsphase einleitete, ist zu erwarten, dass diese Politik mit der steuerlichen Belastung des Sachkapitals zu einer Erhöhung der impliziten Staatsverschuldung führt.
- Vermögensteuer und Pionierunternehmer
Der Forderung nach der stärkeren Belastung von großen Vermögen, sei es durch Vermögen- oder Erbschaftssteuer, liegt die Annahme zugrunde, dass Arbeit derzeit viel stärker als Vermögen belastet wird. Diese Annahme ist falsch. Zählt man nämlich alle Steuern auf Kapitaleinkommen (inkl. der Gewerbesteuer) zusammen, so endet der inländische Kapitalanleger in Deutschland bei einer Gesamtbelastung des Kapitaleinkommens von 56 %. Er liegt also sogar damit höher als der Bezieher von Arbeitseinkommen, der in der Spitze mit 45 % belastet wird. Davon unbenommen sind die Belastungen allerdings grundsätzlich unverhältnismäßig hoch in einer vordergründig marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft.
Der Standardtheorie zufolge investieren Unternehmen, wenn der Zins fällt, und sie desinvestieren, wenn der Zins steigt. Aus dem erzeugten Produkt erhalten die Arbeiter die Lohnsumme und die Unternehmen den Profit. Kirchenvertreter wie der Münchener Erzbischof Kardinal Marx sagen: Die wirtschaftliche Verteilung braucht mit der politischen Verteilung nicht übereinzustimmen: Warum könnte nicht vom Gesamtprodukt die Arbeit etwas mehr und das Kapital etwas weniger erhalten? Diese Sicht verkennt die Dynamik der Marktwirtschaft, die allein Wohlstandsgewinne generieren kann.
Es geht nicht vorrangig um die Verteilung von schon Erwirtschaftetem, sondern um Signale, unternehmerisch tätig zu werden und ein noch nicht vorhandenes Produkt zu schaffen. Derartige Signale werden nicht durch das politische Gleichgewicht, sondern durch das ökonomische Ungleichgewicht ausgelöst. Josef Schumpeter zeigte, dass Ungleichgewichte den Kapitalismus befeuern. Erst Marktungleichgewichte mobilisieren Pionierunternehmer, die Lücke zwischen Güterangebot und Güternachfrage zu schließen und dadurch die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Ohne die Tatkraft der Pionierunternehmer gibt es gar keinen Kapitalismus, und ohne Kapitalismus gibt es nichts zu verteilen. Bei einer Investition nimmt ein Unternehmer Risiken auf sich, gegen die er sich nicht versichern kann.
Als Entgelt erhält er, wie Frank Knight beschrieben hat, den über das Risikoentgelt hinausgehenden Profit. Ohne Profit ist der Kapitalismus nicht denkbar, weil niemand bereit ist Unsicherheit auf sich zu nehmen. Kapitalismus und Profit sind daher untrennbar miteinander verbunden.
An diesem Punkt wird die Bedeutung der Vermögensteuer sichtbar. Wenn der Staat die Vermögen der Pionierunternehmer besteuert, so nimmt er ihnen ganz oder teilweise den Profit, der sie ja gerade erst dazu veranlasst, das nicht versicherbare Risiko auf sich zu nehmen. Der Steuerstaat greift typischerweise nur bei den erfolgreichen Pionierunternehmen zu, also bei jenen, die Unsicherheit auf sich genommen und Erfolg erzielt haben. Im Nachhinein ist für jedermann sichtbar, wer Erfolg gehabt hat. Der Staat sagt: „Lieber Unternehmer, ich besteuere Dich nicht, solange du erfolglos bist. Wenn Du aber Erfolg hast, dann werde ich Dein Vermögen besteuern.“ Offensichtlich ist eine solche Politik nicht wachstumsfördernd, sondern wachstumszerstörend. Wer also Wirtschaftswachstum will, muss den Unternehmern auch ihren Profit zubilligen.
Entscheidend ist hier vor allem, dass Unternehmer und das ihnen zur Verfügung stehende Kapital außerordentlich mobil sind. Deshalb können Anreize zum Verlassen eines Steuerraums, wie sie Vermögenssteuern setzen, sehr schnell wirken. Das Produkt, das umverteilt werden kann, wächst langsamer, mit großer Wahrscheinlichkeit sind auf Dauer alle, inkl. der Profiteure von staatlicher Umverteilung, schlechter gestellt.
- Erbschaftsteuern
Auch Erbschaftsteuern sind Vermögensteuern. Sie belasten das früher beim Erwerb schon einmal besteuerte Einkommen erneut. Die Logik der Erbschaftsteuer ist einfach. Weil der Verstorbene aus seinem Vermögen selbst keinen Nutzen mehr zu ziehen vermag, tritt der Staat als Sachwalter der Allgemeinheit an seine Stelle und beansprucht Teile davon als Staatseinnahme. Jenseits der Freibeträge greifen oft sehr hohe Erbschaftsteuern.
Deutschland hat eine der höchsten Erbschaftsteuern der Welt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der Bund das Gesetzgebungsmonopol hat und die Länder von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind. Das bewirkt, dass es mit einigem Aufwand verbunden ist, der Besteuerung zu entfliehen. Demgegenüber gilt z.B. in der Schweiz das Wohnortsprinzip. Der Bund hat in der Schweiz keine Kompetenz Gesetze zur Besteuerung von Erbschaften zu erlassen. Dafür sind die Kantone zuständig. Es gilt das Recht des Kantons, in dem der Erblasser den letzten Wohnsitz hatte. Aus dieser wahlweisen Zuständigkeit entstand ein Steuerwettbewerb mit dem Ergebnis, dass in den meisten Kantonen die Erbschaftsteuer für Nachkommen in direkter Linie aufgehoben wurde.
- Schlussfolgerungen: Der Effekt des lecken Eimers
Die politökonomische Logik hinter den Argumenten für die Vermögensteuer und die ihr nah verwandte Erbschaftsteuer liegt darin, dass die meisten Deutschen durch diese Umverteilung nur wenig belastet werden, aber von der politischen Umverteilung von den „Reichen“ zu den „Armen“ profitieren.
Das Geld aus der Vermögen- und Erbschaftsteuer der Reichen soll allerdings nicht direkt ausbezahlt werden, sondern über Sozialprogramme für Bildung, Kindergärten und dergl. einer gewünschten Klientel zugutekommen. Rationale Wähler sind daher skeptisch. Das abgeschöpfte Geld wird gleichsam in einen Eimer geschüttet und darin von der einen zur anderen Gruppe transferiert. Doch der Eimer hat ein Leck. Auf dem Transport von den Reichen zu den Armen tropft der größte Teil aus den Löchern des Eimers heraus und landet A.O. Okun zufolge in der Bürokratie. Berechnungen von G. Brennan und J. M Buchanan zufolge kommen von einem ursprünglichen Steuervolumen von 100 Geldeinheiten nur etwa 2/3 bei der Zielwählerschaft an. Der Rest tropft aus dem lecken Eimer und geht unterwegs verloren, so dass es 3/2 Euro braucht, um einen Euro zur Zielgruppe zu bringen.
Hierzu ein Beispiel: In der Schweiz ist im Jahr 2015 eine sozialdemokratische Volksinitiative mit dem Ziel ergriffen worden, die Gesetzgebung für Steuern auf Erbschaften von mehr als 2 Mio. CHF beim Bund zu zentralisieren und mit einem Mindeststeuersatz von 20% zu belasten. Obwohl die meisten Schweizer Wähler ein Vermögen von weniger als 2 Mio. CHF besitzen, und so gesehen vom vorgeschlagenen Gesetz profitiert hätten, wurde dieses mit großer Mehrheit abgelehnt. Den Wählern war offenbar, dass das aus der Zentralisierung resultierende Umverteilungsvolumen nicht vollumfänglich bei ihnen ankommen wird. Sie antizipierten, dass ein großer Teil davon nach dem Gesetz des lecken Eimers bei der zwischengeschalteten Bürokratie hängen bleibt.
Hinzu kommt, wie oben dargelegt, dass die Quelle zum Füllen des Eimers langsam versiegt. Steuern auf Vermögen würgen Unternehmertum ab. Nur Unternehmer, die Risiken eingehen, können neue Produkte und neuen Wohlstand schaffen. Wenden sie sich dauerhaft von einem Staat ab, ist bald nichts mehr da, um den Eimer der Umverteilung zu füllen.
Literatur
Beckert, J. (2013), Erben in der Leistungsgesellschaft. Frankfurt, Campus 2013
Brennan, G. und J. M. Buchanan The Power to Tax: Analytical Foundations of a Fiscal Constitution, Cambridge (Cambridge University Press) 1980, deutsch: Besteuerung und Staatsgewalt, Hamburg (S&W Steuer- und Wirtschaftsverlag) 1988.
Ehrhard, L. 1957, Wohlstand für alle, Düsseldorf, Econ-Verlag.
Galbraith, J. K. (!958) The Affluent Society. New York: Houghton
Knight, F. (1921) Risk, uncertainty and profit, Boston, MA: Hart, Schaffner & Marx; Houghton Mifflin Co
J.St. Mill (1857, 1868) Of Property, Book II, Distribution, London; Longmans, Green and Co.
Okun, A.M. (1970) The Political Economy of Prosperity. Washington, D.C.: Brookings Institution.
Schumpeter, J. (1912) Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin Duncker und Humblot.
Von Weizsäcker, C.C. (2016), Keynes und das Ende der Kapitalknappheit Bonn MPI.
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