Soziale Gerechtigkeit

Dr. Michael von Prollius

Soziale Gerechtigkeit gehört zur Sphäre der verteilenden Gerechtigkeit. Tatsächlich gibt es keine Umstände, die sozial gerecht sind. Stets können Umstände noch gerechter gedacht und gemacht werden, indem die „sozial gerechte“ Umverteilung der Vergangenheit einfach noch ein Stück weiter vorangetrieben wird.

Nach Anthony de Jasay gibt es nur zwei überschneidungsfreie Reiche in der Welt der Gerechtigkeit:

1. Die ausgleichende Gerechtigkeit folgt der Maxime „suum cuique“ (jedem das Seine). Auf die Frage, was gerecht ist, geben hier feststellbare Tatsachen eindeutige Antworten. Gerechtigkeit entsteht durch gerechtes, Ungerechtigkeit durch ungerechtes Handeln. Gerechtigkeit herrscht, sobald jeder seine Freiheiten wahrnimmt und dabei seinen Verpflichtungen nachkommt. Dementsprechend verteilen sich Vorteile und Lasten. Ein Beispiel: Arzt und Patient handeln die Heilbehandlung und ihre Kosten frei aus. Gerechtigkeit herrscht, wenn der Arzt die Leistung erbringt und der Patient die Rechnung bezahlt. Dass sich ein anderer Patient diese Behandlung nicht leisten kann, hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.

2. Die verteilende Gerechtigkeit folgt der Maxime „jedem nach seinen … (jeweilige Bezugsvariable einfügen)“. Auf die Frage, was gerecht ist, geben hier persönliche Urteile auslegbare Antworten, während Tatsachen kaum eine Rolle spielen. Vorteile und Lasten hängen als Verteilungsergebnis von einer überlegten, gezielten Handlung ab, die selbst gerecht sein muss, damit auch die Verteilung gerecht ist. Das erfordert wiederum ein allgemeines (gerechtes) Kriterium für die Verteilung von Vorteilen und Lasten. Auch die ausgewählte Personengruppe der Begünstigten wie der Belasteten muss gerecht ausgewählt werden.

Welche Auswahl und Verteilung ist gerecht? Jedem Bürger die gleiche Gesundheitsversorgung – jedem Patienten die gleiche medizinische Aufmerksamkeit – jedem Arzt die gleiche Entlohnung – jedem Bürger die gleichen Kosten – jeder Versicherung die gleichen Gesundheitsrisiken – jedem Bürger die gleiche Gesundheit – jedem Bürger das gleiche Einkommen – …. ? Das Ausfüllen der Leerstelle bei der Maxime „jedem nach seinen …“, mit der jeweiligen Bezugsvariable bleibt persönlicher moralischer Intuition oder einem vorgefaßten normativen Ideal überlassen. Das macht ein für alle Menschen gleich geltendes Kriterium nahezu unmöglich. Umso mehr gewinnen Werturteile, (Sonder)Interessen, Parteilichkeit, ideologische Moden, blanker Opportunismus und Gruppenegoismus an Gewicht. Statt ungleiche Bürger gleich zu behandeln („jedem das Seine„), bleibt nun nur noch, ungleiche Bürger ungleich zu behandeln („jedem nach seinen …“). Die Stärke des Rechts weicht dann dem Recht des Stärkeren.

„Soziale Gerechtigkeit“ zerstört das Soziale durch die unbegrenzt wuchernde Verstaatlichung privater Aktivitäten, welche der Maxime „jedem das Seine“ folgen. Darüber hinaus zerstört der Staat auch freiwillige Solidarität. „Soziale Gerechtigkeit“ ist weder sozial noch gerecht.

Dr. Michael von Prollius ist freier Autor, Referent für Wirtschaftspolitik und Mitbegründer von Forum Ordnungspolitik.

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